Der Jurist, Journalist und Pionier der Sexualwissenschaft Karl Heinrich Ulrichs forderte, das Strafrecht zum Schutze queerer Personen zu revidieren. Showdown 1867 im Münchner Odeon, auf einer Tagung vor gut 500 Juristen. Seine angestrebte Liberalisierung blieb ein Wunschtraum, aber 130 Jahre nach seinem öffentlichen Outing widmet München ihm einen Platz im Herzen des Rainbow Districts.
Der Jurist
Karl Heinrich Ulrichs wird 1825 in Westerfeld (Ostfriesland) geboren. Nach Rechtsstudium in Göttingen und kurzem Aufenthalt im aufregenden Berlin, zieht er dennoch zurück ins Königreich Hannover und beginnt seine Karriere als Jurist. Im Staatsdienst steigt er bis zum Gerichtsassessor auf, also einem Richter auf Probe. Bald kursieren Gerüchte über Ulrichs gesellschaftlichen Umgang. Ulrichs betriebe "widernatürliche Wollust mit anderen Männern" wird dem Justizministerium gemeldet. 1854 reicht der Gerichtsassessor daher seine Kündigung ein und widmet sich anderen Aufgaben.Der Journalist
Titelblatt (Ausschnitt) der von Ulrichs herausgegebenen Zeitschrift Uranus, Januar 1870.
Als Journalist schreibt Karl Heinrich Ulrichs für die "Allgemeine Zeitung". Er beschäftigt sich darüberhinaus mit seiner eigenen Sexualität, zweifelte an der vorherrschenden Meinung sein Verlangen nach Männern wäre pervers oder unnatürlich und outete sich sogar gegenüber seiner Familie via Brief. 1864 veröffentlicht Ulrichs den ersten von insgesamt zwölf Bänden der "Forschung über die Rätsel der mannmännlichen Liebe".
Der Pionier der Sexualwissenschaft
Er versucht die wenigen sexualwissenschaftlichen Erkenntnisse seiner Zeit zu interpretieren, nutzt auch die Analyse seiner eigenen Sexualität und entwickelt neue Begriffe für Homosexualität, da die gebräuchlichen bis dato abwertend waren.Gleichgeschlechtliche Liebe nennt Ulrichs Uranismus. Seine Terminologie baut sich auf Platons "Symposion" auf, nach der die Göttin Aphrodite Urania die Tochter männlicher Götter repräsentiert, also quasi ohne heterosexuellen Sex auf die Welt gekommen ist. Den schwulen Mann bezeichnet Ulrichs als Urning, die lesbische Frau als Urninde.
Ulrichs Schriften schaffen ein erstes Gemeinschaftsgefühl unter schwulen Männern. Es erreichten ihn Briefe aus ganz Deutschland, von dankbaren Lesern denen er aufzeigte, dass sie nicht alleine waren.
Der erste Schwule der Weltgeschichte
Im August 1867 kommt es dann zum Showdown in München. Der Deutsche Juristentag findet im Konzertsaal des Odeons statt, Karl Heinrich Ulrichs trat bei diesem Kongress ans Rednerpult: Vor gut 500 Anwälten und Rechtsgelehrten - sogar ein bayerischer Prinz soll anwesend gewesen sein - fordert er: Man müsse das bestehende Strafrecht revidieren, Straffreiheit für gleichgeschlechtliche Liebe unter Männern schaffen. Er erklärt, Homosexualität sei eine natürliche Veranlagung.Unruhe im Publikum, Zwischenrufe, im Saal geht es wild durcheinander. Ulrichs muss schließlich abbrechen und die Bühne verlassen. Seine Sätze gelten als erstes öffentliches Coming-out der Weltgeschichte. Der Psychiater und Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch bezeichnete ihn deshalb als den "ersten Schwulen der Weltgeschichte".
Der Publizist im Exil
Auf diese Rede war Karl Heinrich Ulrichs bis an sein Lebensende stolz, auch wenn genau das Gegenteil seiner Forderungen Realität wurde. Noch im selben Jahr werden seine Schriften beschlagnahmt, zensiert und verboten. Im Januar 1872 tritt mit dem Strafgesetzbuch des neuen Kaiserreichs §175 in Kraft und stellt mithin homosexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe. Die staatliche Homosexuellenverfolgung bleibt für fast 100 Jahre gesetzlich verankert.Verbittert und resigniert begibt sich Ulrichs nach Italien ins Exil. Er widmet sich einer kleinen, aber immerhin in mehreren Kontinenten abonnierten Zeitschrift, in der er die Wiederbelebung der lateinischen Sprache verfolgte. Ulrichs stirbt 1895 in L'Aquila im Alter von 69 Jahren.
Der spät gefeierte Held
1997 stellt der Münchner Bezirksausschuß 2 (Iarvorstadt-Ludwigsvorstadt) auf Betreiben der "Rosa Liste" den Antrag an den Stadtrat, einen Platz in München nach Karl Heinrich Ulrichs zu benennen. Ein Jahr später wird mit dem Platz Ecke Glockenbach, Arndt- und Geyerstraße zum ersten mal in der Münchner Stadtgeschichte ein Ort im Gedenken an einen Schwulen benannt.
"Mit seinem öffentlichen Eintreten für die reichseinheitliche Straffreiheit gleichgeschlechtlicher Beziehungen beim Deutschen Juristentag 1867 in München trug er wesentlich zur rechtlichen und gesellschaftlichen Gleichstellung Homosexueller bei." – So erinnert die Tafel unter dem Straßenschild.
Rosa Stangerl Maibaumfest, 2024
Nach seiner Einweihung wird der Karl-Heinrich-Ulrichs-Platz schnell zu einem zentralen Ort der Community, auf dem zahlreiche Veranstaltungen und Feste stattfinden. Seit 2008 wird hier jährlich das Maibaumfest gefeiert. Die Schilder des dazugehörigen Maibaums – dem “Rosa Stangerl” – verdeutlichen die Vielfalt der Community im Glockenbachviertel.