Adele Spitzeder: Der größte Bankbetrug im Kaiserreich

Adele Spitzeder: Der größte Bankbetrug im Kaiserreich

Adele Spitzeder war so etwas wie die Anna Delvey des bayerischen Königreiches zur Zeit Ludwig II. Sie lebte ausschließlich in feinen Hotels und pflegte einen Lebensstil weit über dem Einkommen einer mäßig erfolgreichen Schauspielerin. Gegenfinanziert mit Schulden bei Freunden und Verwandten und schließlich im großen Stil mit dem vermutlich weltweit ersten Schneeballsystem. "Wenn man keine neuen Ideen hat, muss man die alten größer machen" – der Satz stammt von Anna Delvey, hätte aber auch aus Spitzeders Feder stammten können. Am Ende flossen immerhin satte 38 Millionen Gulden durch ihrer Privatbank – inflationsbereinigt über eine halbe Milliarde Euro.


Adele Spitzeder kam 1832 als Tochter eines Künstlerpaares in Berlin zur Welt und verkehrte von Anfang an in guter Gesellschaft. So besuchte sie teure Privatschulen, las nach eigener Aussage alle Klassiker und lernte verschiedene Fremdsprachen. Dann folgte sie dem Vorbild der Mutter und wird Schauspielerin. Und auch wenn sie damit immerhin zehn Jahre einigermaßen durchkommt, mit 36 kann sie sich ihren aufwändigen Lebensstil nur noch mit zusätzlichen Schulden finanzieren. Statt festen Wohnsitz lebt sie in Hotels, hält mehrere Hunde und beschäftigt eine Privatangestellte. Das Verhältnis zur Mutter ist angespannt, weil sie mit verschiedenen Frauen Beziehungen auslebt. Adele Spitzeder ist lesbisch. Das hindert sie daran zu ihrer Mutter zu ziehen, als die Not größer wird. Denn "es wäre ein Gewaltstreich gegen meine Natur gewesen", reflektiert sie später in ihren Memoiren.

Inventing Adele

Stattdessen kommt ihr beim Spaziergang durch die damals verarmte Au eine Idee. Hier trifft sie auf die Frau eines Zimmermanns und schlägt ein Geschäft vor: Sie verspricht 10 Prozent Zinsen monatlich, auf eine Einlage von 100 Gulden, über die nächsten drei Monate. Die Zimmermannsfrau  erhält dafür sogar 20 Gulden direkt zurück - die Zinszahlungen der ersten zwei Monate. Was für ein Geschäft! Diese Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer unter der Arbeiterschaft Münchens. Der Kundenstamm der so gegründeten Spitzeder'schen Privatbank wuchs rasant, schon 1869 zog sie mit ihrer Lebensgefährtin in ein eigenes Palais in der Schönfeldstraße. 

Die erste Privatbänkerin Deutschlands

Das unkonventionelle Angebot der ersten Privatbänkerin Deutschlands verfügte auch über kreative Buchführung: Ein einfaches Quittungsbuch musste reichen, das eingelegte Geld wurde in Säcken verwahrt, die Angestellten stammten aus dem Umkreis der ehemaligen Schauspielerin und hatten keine angemessene Bankausbildung. Zinsen wurden aus neu eingenommen Krediten ausbezahlt, Sicherheiten wurden keine gewährt. Im Prinzip haben wir es wohl mit dem erste Schneeballsystem der Welt zu tun.

Die großzügige Wohltäterin

Bald wurde auch Kritik laut, die Presse taufte die zwielichtige Institution spöttisch "Dachauer Bank", da viele Kunden aus dem nördlichen Umland Münchens stammten. Spitzeder hält dagegen: Sie bestach Journalist*innen und kaufte sogar ganze Zeitungen auf, spendete großzügig an die katholische Kirche und betrieb die "Volksküche" im Orlandohaus am Platzl, wo Menschen günstig Speisen und trinken konnten. 

Das bittere Ende der "Dachauer Bank"

Schließlich belastete ihr Erfolg jedoch auch die Sparkassen in öffentlicher Hand. Einleger*innen holten ihr Geld hier ab um es bei der Spitzeder anzulegen. Damit wurde die Politik auf das Thema aufmerksam. Das Innenministerium gab eine Warnung vor Inventionen bei ihr heraus. Zudem kaufte die Polizei Schuldscheine der "Dachauer Bank" um dann eine größere Summe zurückfordern und den Zusammenbruch des Schneeballsystems erzwingen zu können. Es kam zum Bankrun und zur Insolvenz - über 30.000 Menschen verloren einen Großteil ihrer Einlagen. Adele Spitzeder wird verhaftet und zu drei Jahren Gefängnis verurteilt.

Weibliche Liebschaften

Spätestens seit ihrem Prozess waren die weiblichen Liebschaften Adele Spitzeders in aller Munde. Weibliche Homosexualität wurde zwar auch im Kaiserreich nicht strafrechtlich verfolgt, aber noch lange nicht gesellschaftlich akzeptiert. Im Kontext der um 1900 entstandenen Kriminalpsychologie wurde sie zum Prototypen der "lesbischen Kriminellen" stilisiert. "Männin, mit ihren breiten Schultern, eckigen Formen und ebensolchen Bewegungen" schreibt 1929 ein Münchner Kriminologe über sie, und schlussfolgert weiter: "alles an ihr ist triebhaft und tiermäßig instinktiv im höchsten Grade". Immerhin behielt Spitzeder mit einer Aussage recht, die sie einst einem Hotelpagen zugerufen haben soll: "Ich werde noch eine Roll spielen, in dieser Welt." Sooo Anna Delvey! 

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